Studentenverbindungen – Werte und Ideale – Wofür stehen wir?

Wofür stehen wir?

Unsere Grundsätze richten sich in erster Linie an uns selbst. Aber jeder, der sich fragt, ob er zu uns gehören möchte, wird verständlicherweise wissen wollen, welche Werte und Ideale das denn eigentlich sind, durch die wir uns definieren …

 

Rückblick

In den Gründungsstatuten des Allgemeinen Deutschen Landsmannschaftsverbandes vom 1. März 1868, dessen Gründungsdatum der Coburger Convent der akademischen Landsmannschaften und Turnerschaften führt, wurden das »Prinzip der möglichst großen individuellen Freiheit« und die »Negierung politischer Tendenzen« an die Spitze gestellt. Diese toleranten, in ihrem Grundgehalt stets beibehaltenen Grundsätze, schufen die Voraussetzungen dafür, daß der Verband sich trotz aller Wandlungen der Zeit bis zur erzwungenen Auflösung im Dritten Reich erhalten konnte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg zwangen die tiefgreifenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen in Deutschland und Europa dazu, Sinn, Aufgabe und Standort der studentischen Korporationen neu zu überdenken. In den »Gedanken Alter Landsmannschafter und Turnerschafter« zur Zukunftsgestaltung des studentischen Gemeinschaftslebens (1950) wurde diese Bilanz gezogen. Sie bekannten sich zu den überlieferten Idealen von Ehre und Freundschaft, Würde und Bescheidenheit, Gemeinschaft und Freiheit, Volk und Vaterland und erklärten: »Aus der Überzeugung von der Gültigkeit dieser Grundsätze unserer Lebensgemeinschaft und unseres Gemeinschaftslebens werden wir sie heute und in Zukunft an den Hochschulen verwirklichen, dabei aufgeschlossen für Wandlungen und doch unwandelbaren Idealen folgend.«

Zu guter letzt!Im einzelnen wurden die Bindung an Recht und Gesetz, die Anerkennung der Freiheit als höchstes Gut des Menschen und die Ablehung jeder Überheblichkeit der Rasse, Konfession und des Staates bekundet. Weiter wurde festgestellt, daß jeglicher Ehrbegriff nur in der Menschenwürde begründet sein kann und Mißachtung der Ehre Genugtuung erfordert. »Jeder von uns hat sich gegebenenfalls einem Genugtuungsverfahren unbedingt zu unterwerfen, das jeder ehrliche Mann für sich in Anspruch nehmen kann.«

Besondere Bedeutung kam in diesem Zusammenhang der Aussage zu, daß somit die Frage der unbedingten Genugtuung unter dem Gesichtspunkt einer dem Gesetz gerechtwerdenden Verantwortung betrachtet wurde. Dies war die Abkehr vom alten waffenstudentischen Privileg der unbedingten Genugtuung, der Satisfaktion mit der Waffe. Angestrebt wurde die Heranbildung der Studenten zu politischer und sozialer Verantworutng, zum guten Deutschen und – bereits damals! – zum bewußtem Europäer. Das korporative Gemeinschaftsleben sollte sich der universellen Geistespflege und der körperlichen Ertüchtigung widmen. Die erzieherische Bedeutung der Mensur wurde auch für die Zukunft bejaht, das Bekenntnis zum Farbentragen erneuert. Als besonders bedeutungsvoll wurde es angesehen, die studentische Jugend in ihrem wissenschaftlichen Streben zu fördern und die ideelle Bindung der Altakademiker an ihre Hochschule zu pflegen.

 

Neuorientierung

Die »Gedanken Alter Landsmannschafter und Turnerschafter« fanden beim Zusammenschluß der Landsmannschaften und Turnerschaften zum Coburger Convent im Jahre 1951 weitgehend Eingang in die Grundsätze des neuen Verbandes: Ehre, Freiheit, Freundschaft, Vaterland. Ihr Vergleich mit den einleitend erwähnten Prinzipien von 1868 zeigt, daß Freiheit der Persönlichkeit nun Freiheit des Gewissens, der Meinungsäußerung und des Handelns im Rahmen der verfassungsmäßigen Grundrechte bedeutete.
Als Ziel der Erziehungsaufgabe der Bünde wurden die Aufgeschlossenheit für geistige Allgemeinwerte sowie soziales und politisches Verständnis bezeichnet. Dieses gesellschaftsbezogene Erziehungsideal führte geradezu zwangsläufig zu dem politischen »Streben nach einem ungeteilten und unabhängigen Deutschland, das gleichberechtigt mit den anderen Völkern Menschlichkeit und Kultur, Freiheit und Demokratie verteidigt«, wie es im Vaterlandsbegriff seinen Ausdruck fand.

Als Ausfluß der Akademischen Freiheit wurde auch das Recht der Studierenden, ihr Gemeinschaftsleben nach eigenem Willen zu gestalten, gefordert: »Unser Ziel ist ein deutscher Akademiker, der an der Hochschule und im Berufsleben in enger Gemeinschaft mit allen Volksschichten dem ganzen nach Kräften dient.« Beim Ehrbegriff wurde verdeutlicht, daß bewußte und verständnisvolle Toleranz für jede andere Auffassung gefordert werde. Zur Wiederherstellung verletzter Ehre durfte nicht mehr auf Austrag des Ehrenhandels durch Zweikampf erkannt werden.

Im Rahmen der Studentenbewegung gegen Ende der 60er Jahre wurden die Grundsätze des Coburger Convents einer sich über mehrere Jahre erstreckenden Überprüfung unterzogen. Die Grundsätze wurden in – von jung und alt getragenen – Formulierungen neu gefaßt, blieben aber in ihrem unwandelbaren Sinngehalt bestehen, und sollten dem Verband fortan als zeitgemäße und vernünftige Grundlage für die künftige Arbeit dienen.

 

Unsere Grundsätze

Ehre – Selbstachtung und Achtung der Würde jedes anderen
Ehre wird vom Coburger Convent nicht nur gesellschaftsbezogen, sondern in einem grundsätzlichen Sinn definiert. Ehre ist danach die dem Menschen aufgrund seines Menschseins und der damit verbundenen Würde zustehende und grundrechtlich garantierte Achtung. Ehre gründet sich in jedem Fall allein auf den sittlichen Wert des Menschen und muß deshalb als allgemeine Achtungswürdigkeit mit zwei Unterscheidungsformen verstanden werden: Als Achtungswürdigkeit im Urteil anderer – »äußere Ehre« – und als Achtungswürdigkeit im eigenen Urteil – »innere Ehre«. Das Bekenntnis zur Ehre als Verbandsgrundsatz verpflichtet zu besonderen Anstrengungen: Ehrliche, bescheidene Lebensführung, Streben nach Wissen, Können und eigener aufgeklärter Persönlichkeit und deren Einsatz für die Allgemeinheit; Unterstützung Schwächerer und Toleranz gegenüber anderen Anschauungen, solange diese nicht erklärte Gegnerschaft zur freiheitlichen Grundordnung zum Ziele haben. Unser Verständnis von Ehre steht in erklärtem Gegensatz zu Absonderung, Ausgrenzung und Arroganz.

Freiheit – Grenzenlos, aber nicht schrankenlos
Freiheit ist grundsätzlich die Möglichkeit, so zu handeln, wie man will. Ein Höchstmaß an Freiheit ist unabdingbare Voraussetzung für die menschliche Wesensentfaltung. Der Coburger Convent schätzt die ratio des Menschen hoch und ist überzeugt, daß der Mensch bei den heute vorhandenen erträglichen sozialen Verhältnissen und der Möglichkeit zu umfassender Bildung so unabhängig von äußeren Verhältnissen sein oder werden kann, daß ihm eine Selbstbestimmung als menschliche Willensentfaltung in hohem Maße möglich ist, vorausgesetzt, daß der Mensch seinen Geist auch wirklich kritisch gebrauchen will.
Auch das Grundgesetz versteht die persönliche Freiheit als Willensfreiheit im Vertrauen auf die Vernunft des Menschen, sie zu gewähren und zu gebrauchen. Die Freiheit des Menschen und die Autorität des Rechts sind untrennbar verbunden. Aufgrund dieses Rechts muß alles erlaubt sein, was einem anderen nicht schadet. Dementsprechend schätzt und verteidigt der Coburger Convent die persönliche Freiheit als höchstes geistiges Gut, wissend, daß Freiheit des einzelnen dort aufhört, wo die Freiheit des nächsten anfängt.

Freundschaft – Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein
Freundschaft ist bereits seit Sokrates eine der menschlichen Grundtugenden, die sich im bewußten gegenseitigen Wohlwollen zweier oder mehrerer Menschen ausdrückt. Freundschaft führt zu Gedankenaustausch und -auseinandersetzung. Durch diese persönlichkeitsbildenden Eigenschaften ist sie ein Weg zur Selbstverwirklichung. Echte Freundschaft setzt innere und äußere Freiheit voraus und kann nur durch Anstrengung erworben werden. Die institutionelle Freundschaft unserer Lebensbünde bildet das Fundament für individuelle Freundschaften.

Die institutionelle Freundschaft schafft eine Verbundenheit nicht durch Auswahl einzelner Personen, sondern einer ganzen Gruppe. Die institutionelle Freundschaft – Bundesbrüderlichkeit – verlangt Aufgabe der Angewohnheit, alles nur vom eigenen Ich her zu beziehen; sich als eigenständige Persönlichkeit dennoch zu bewahren, weiterzubilden und zu bewähren; sich zu seinem Bund von Freunden zu bekennen und ihm lebenslang treu zu bleiben. Die Bundesbrüderlichkeit gibt deshalb bei aller notwendigen Einordnung jedem einzelnen die Möglichkeit, durch ständige freundschaftliche Kommunikation bei aller Verschiedenheit von Alter, geistigen und körperlichen Fähigkeiten und politischem Selbstverständnis die eigene Persönlichkeit frei von den üblichen Barrieren des Alltags zu entfalten.

Vaterland – Einsatz für die Gesellschaft
Vaterland bedeutet für den Coburger Convent die Aufforderung an seine Mitglieder, sich im Rahmen der persönlichen Möglichkeiten in Politik und Gesellschaft zu engagieren. Der Coburger Convent bekennt sich zur geschichtlichen und geistigen Gemeinschaft der Deutschen. Unser Vaterlandsbegriff beinhaltet – seit der Konstituierung des Verbandes nach dem Zweiten Weltkrieg – die Schaffung eines vereinten Europas, das gewillt ist, mit allen Völkern der Welt in Frieden und Freiheit zusammenzuleben.

 

Zu guter letzt!

Eine Prüfung, ob der Coburger Convent seither den selbstgewählten Grundsätzen seines Gemeinschaftslebens gerecht geworden ist, kann bei kritischer Würdigung nur zu der Feststellung führen, daß allein im Hinblick auf den dauernden Zugang neuer Jahrgänge noch vieles zu tun bleibt. Das gilt nicht zuletzt für die Auseinandersetzung mit den Problemen, die Hochschule und Gesellschaft ständig aufgeben und zu deren Lösung beizutragen die Grundsätze verpflichten. Zu diesen Fragen wird deshalb künftig mehr als bisher kritisch und konstruktiv Stellung genommen werden müssen.

Die »Negierung politischer Tendenzen«, wie sie früher angebracht gewesen sein mag, kommt heute nicht mehr in Betracht, denn es gibt keine Immunität des Korporationsstudententums gegenüber dem Zeitgeschehen, wie die dunklen Kapitel dieses Jahrhunderts für alle Zeiten bewiesen haben. Gerade aufgrund der seit altersher bestehenden Verpflichtung der Korporationen gegenüber dem Ganzen, heute aber besonders für den Einsatz in der freiheitlichen Gesellschaftsordnung – und für sie -, wird deutlich, daß ein »unpolitischer Korporationsstudent« ein Paradoxon ist. Wenn irgendjemand, so sind die Korporationsstudenten – unbeschadet der unterschiedlichen politischen Orientierungen – berufen, in den Fragen der Grundfesten unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung eine klare und feste Stellung zu beziehen, sie zu verkünden und sie zu verteidigen.

Unsere Werte und Ideale unterliegen durch die Hinterfragung durch jedes Neumitglied einer ständigen Überprüfung. Ihr Kernbestand jedoch ist zeitlos: Freundschaft und Freiheit, Toleranz und Humanität, Engagement und Zivilcourage. Die Begeisterung für Ideale ist ein Wesenszug der Jugend. Die lebenslange Mitgliedschaft in der Verbindung fordert dazu auf, diese Ideale bis ins Alter hinüberzuretten. Die Frage nach diesen Werten bleibt gestellt. Sie ist die Frage nach einer menschenwürdigen Zukunft unserer Gesellschaft überhaupt.